WELTKULTURERBE GRIECHENLAND



Mystras

Zwar hat der große Dichterfürst Goethe Mystras nie besucht, und doch machte er diesen Ort zum Schauplatz in einem seiner Werke. Vermutlich angeregt durch das Studium mittelalterlicher Quellen verlegte er in Faust II die Verbindung Fausts mit Helena nach Mystras. Offensichtlich schien ihm das ein geeigneter Ort zu sein, eine Verknüpfung der Geistesgeschichte von Antike und Mittelalter herzustellen. Dies hatte vor ihm bereits ein anderer berühmter Denker versucht. Um 1400 hatte der Philosoph Pleton in Mystras eine Akademie gegründet, in der die antiken Autoren erneut studiert wurden. Sein Einfluss reichte bis nach Florenz, wo er die Medici mit seinen Ideen nicht unerheblich inspirierte.



Mystras, am Fuße des Gebirges Taigetos gelegen, 6 km nordwestlich von Sparta, ist mittlerweile eine Ruinenstadt, die sich von ihrer Zerstörung 1825 durch ägyptische Truppen nie mehr erholte. Doch bis heute blieben sieben Kirchen, Reste von Palästen, Klöstern und Häusern sowie die hoch oben gelegene Burg erhalten, so dass sich vor dem geistigen Auge rasch das Aussehen einer lebendigen mittelalterlichen Stadt zusammenfügen lässt. Kaum ein anderer Ort vermittelt ein derart eindrucksvolles und nachvollziehbares Bild einer großen Stadt während des byzantinischen Kaiserreiches.

Ihre Gründung 1248 durch den Bau einer Festung hoch oben auf dem Berggipfel durch Wilhelm II. Villehardouin sollte der Absicherung der Eroberungen fränkischer Kreuzritter dienen. Doch schon bald zogen byzantinische Statthalter hier ein, entstand rund um die Festungsanlage eine Stadt, nachdem die Einwohner Spartas auf der Suche nach einem sicheren Refugium ihre Stadt verlassen hatten. Rasch entwickelte sich Mystras zu einem kulturellen Zentrum des Reiches, Klöster und Kirchen wurden gebaut, Bibliothek und Gelehrtenschule eingerichtet. Vor allem während der Herrschaft der Paläologen in Konstantinopel entfaltete sich das geistige Leben Mystras besonders stark. Der Philosoph Gregorovius verglich den Hof Mystras mit den Fürstenhöfen der italienischen Renaissance, sprach sogar vom „Herd einer griechischen Renaissance“. Von Konstantinopel eingesetzte Despoten regierten die Stadt bald auf Lebenszeit, wenngleich der fränkische Einfluss immer bedeutsam blieb. Das byzantinische Reich sah sich gezwungen, enge Kontakte zu den sogenannten Lateinern aufrechtzuerhalten, was man unter anderem durch die Heirat mit fränkischen Prinzessinnen bewerkstelligte. Diese Mittelstellung zwischen byzantinischer Kultur und westlichem Einfluss erklärt die Besonderheiten, die bei manchen Kunstwerken Mystras zu erkennen sind. So zeigt der mehrmals umgebaute Palastkomplex an Tür- und Fensterrahmen entwickelte spätgotische Details, trägt also noch die sichtbaren Spuren der Übernahme westlicher architektonischer Formen der Frührenaissance in die byzantinische Palastarchitektur. Noch deutlicher wird dies bei einigen Kirchenbauten. Die Bischofskirche (Metropolis), dem Soldatenheiligen Demetrios geweiht, wurde Anfang des 14. Jahrhunderts unter dem Einfluss des lateinischen Westens als dreischiffige Basilika errichtet. Obwohl in der Orthodoxie ganz und gar nicht üblich, denn einmal offenbarte Formen bedurften keiner weiteren Veränderung, wurde sie zweimal umgebaut. Im 15. Jahrhundert wurde sie zu einer Kreuzkuppelkirche ausgebaut, ganz der östlichen Architekturtradition entsprechend. Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei weiteren Kirchenbauten zu entdecken, so in der Kirche Odigitria im Kloster Vrontochion, wo ebenfalls beide Architekturtypen miteinander verbunden wurden. Gleiches gilt für die Kirche des Klosters Pantanassa, wo byzantinische Ziegelornamentik mit gotischen Spitzbogenelementen eine Verbindung eingeht. Auch die Verwendung von Außenornamenten und das Anfügen von Glockentürmen an die Kirchen zeugt von dieser Vermischung der Architekturformen. Weniger ist dies bei den Wandmalereien zu beobachten. Die Fresken der Klosterkirche von Perivleptos gehören zu den besterhaltenen und eindrucksvollsten von Mystras, nicht zuletzt durch die gelungene Individualisierung der gemalten Personen.

Helmuth Weiss

 

 

 


Mehr zu Griechenland:

Reiseführer Kreta

Reiseführer Chalkidiki

Reiseführer Kos

Reiseführer Leros

weitere Reportagen zu Griechenland...