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Thessaloniki

Die erste Begegnung mit Griechenlands zweitgrößter Stadt ist ernüchternd, wie bei fast jeder modernen Metropole. Kaum gezügelter Verkehr quält sich durch überfüllte Straßen, moderne uniformierte Betonbauten zeugen von einer schnell befriedigten Wohnungsnachfrage im 20. Jahrhundert.

Doch beim Erkunden der Innenstadt schält sich schrittweise das andere Thessaloniki heraus, werden Spuren dieser alten, traditionellen Stadt erkennbar, die 1985 ihr 2300 jähriges Bestehen feiern konnte. Auf engstem Raum findet man Zeugnisse römischer Paläste und Märkte ebenso wie Bäder und Moscheen aus der Zeit osmanischer Herrschaft sowie herrschaftliche Villen des 19. und 20. Jahrhunderts. Dieses Nebeneinander eines vielfältiges Gemischs von Bauten verschiedenster Epochen macht den Reiz dieser Stadt aus.



Doch wirklich einzigartig ist die Stadt in ihrer Vielzahl an byzantinischen Monumenten aus verschiedensten Jahrhunderten, die ein Kaleidoskop christlich-byzantinischer Architektur vom 4. bis zum 15. Jahrhundert eröffnen. Dem Kenner und Liebhaber byzantinischer Architektur, Malerei und Mosaikkunst wird hier die Möglichkeit eröffnet, die gesamte Geschichte byzantinischer Kunst, sonst nur in Buchform erhältlich, mit eigenen Augen vor Ort zu erleben. Nicht umsonst wurde Thessaloniki mit ehrenden Begriffen wie „Fürstin des Mittelmeeres“ und „Mithauptstadt“ neben der Reichshauptstadt Konstantinopel bedacht.

Ein chronologischer Gang durch das Kunstschaffen von Byzanz könnte mit der Rotónda beginnen, dem bedeutendsten Gebäude aus der Zeit römischer Herrschaft. Im 4. Jahrhundert in eine christliche Kirche umgewandelt, erhielt das Gotteshaus in der Folgezeit Mosaikschmuck, der einen besonderen Stellenwert in der Frühzeit byzantinischer Kunst einnimmt. Die fast 25 Meter Durchmesser erreichende Kuppel ziert in acht Feldern die Darstellung von Märtyrern vor einer reich gestalteten Architekturkulisse, eine Darstellung von Portraits, die die hellenistische Tradition byzantinischen Kunstschaffens hervorragend dokumentieren. Im 5. Jahrhundert wurde die Kirche Ágios Dimítrios errichtet, die dem gleichnamigen Schutzpatron der Stadt geweiht ist. Mächtige und trotzdem luftig anmutende Säulenreihen unterteilen den Bau in fünf Schiffe, zahlreiche Fenster gliedern die Fassaden, so dass das lange Kirchenschiff lichtdurchflutet bleibt. Die Mosaiken und Wandmalereien des Gotteshauses stehen zueinander in keiner besonderen Beziehung, sie entstammen verschiedensten Epochen und bilden somit selbst noch einmal eine kleinen Überblick über die Geschichte byzantinischer Malerei.

Versteckt gelegen weiß die kleine Kirche Ósios Davíd mit einer Besonderheit aufzuwarten: Eines der Mosaike aus dem 5. Jh. zeigt den selten in dieser Art dargestellten jugendlichen, bartlosen Jesus, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. Eine eindrucksvolle Komposition in Form und Farbe, die sowohl von der „himmlischen Atmosphäre“ wie von der Charakterisierung der Figuren überzeugt.

Die im 8. Jahrhundert errichtete Kirche Agía Sophía ist architektonisch von besonderem Interesse, markiert sie doch den Übergang von einer Basilika zu einer Kreuzkuppelkirche mit Umgang. Ihr Kuppelmosaik, das die „Himmelfahrt“ zum Thema hat, zählt zu den bedeutendsten Mosaiken der byzantinischen Kunst überhaupt. Es repräsentiert die Wiederbelebung der Malerei nach dem Bilderstreit im 9. Jahrhundert. Die lebendige und ausdrucksstarke Szenerie ist auch farblich gelungen gestaltet und passt sich hervorragend der sphärischen Innenfläche der Kuppel an.

In der Kirche Ágii Apóstoli aus dem 14. Jahrhundert spiegelt sich die sogenannte „Renaissance der Paläologen“ besonders gelungen wider. Mit ihrem reichen keramisch-plastischen Schmuck, ihrer differenzierten Fassadengliederung und ihren wertvollen Mosaiken und Wandmalereien steht das Gotteshaus ohne Zweifel in der ersten Reihe der wichtigsten Baudenkmäler Thessalonikis.

Das byzantinische Museum der Stadt schließlich bietet sich als zusammenfassender Abschluss eines Rundgangs durch die Kunstgeschichte von Byzanz an.

Helmuth Weiss

 

 

 


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